Ist der genetische Fingerabdruck noch up-to-date?



Gehe zu: Minisatelliten / Multi-Locus-Sonden / Single-Locus-Sonden / Polymerase-Kettenreaktion (PCR) / Mitochondrien-DNA / Zellkultur / Fazit / Literatur

Der “genetische Fingerabdruck” ist in letzter Zeit vor allem in Zusammenhang mit Sexualstraftaten in das allgemeine Interesse gerückt, ist doch jeder anhand seines genetischen Fingerabdrucks eindeutig zu identifizieren. Daneben findet er auch in Deutschland zunehmend Anwendung bei Vaterschaftsanalysen.

Aber nicht nur für Abstammungsgutachter und Strafverfolgungsbehörden sind genetische Fingerabdrücke von unschätzbarem Nutzen. Auch in der Zellkultur, bei Tumorbanken und dem Einsatz autologer Zellen in der Gentherapie stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Identität des verwendeten Materials. Was hinter dem genetischen Fingerabdruck steckt und wozu er sonst noch eingesetzt werden kann, ist Thema des folgenden Beitrags.

Minisatelliten

Genetischer Fingerabdruck ist nicht gleich genetischer Fingerabdruck. Gemeinsam ist den verschiedenen Techniken, daß sie sich sogenannter Minisatelliten (auch Short Tandem Repeats, STR) bedienen. Dabei handelt es sich um Abschnitte, in denen ein 2 bis 8 Nukleotide langes DNA-Muster mehrmals wiederholt wird (z.B. GATTA). Die sehr häufig bei STR zu findenden verschiedenen Allele unterscheiden sich in der Häufigkeit der Wiederholungen.

Multi-Locus-Sonden

Die ersten genetischen Fingerabdrücke, wie sie Nature 1985 von Jeffreys und anderen vorgestellt wurden, wurden im Southern-Blot-Verfahren erstellt. Hochmolekulare genomische DNA wird mit einem Restriktionsenzym vollständig verdaut, elektrophoretisch aufgetrennt, geblottet und mit einer Sonde hybridisiert, die einige Wiederholungen eines bestimmten DNA-Musters lang ist (z. B. GATTA GATTA GATTA) und viele verschiedene STR-Loci erkennt. sogenannte Multi-Locus-Sonden (MLS). Mit einer einzigen Hybridieserung erhält man ein Bandenmuster mit einer Fülle von Informationen, das individualspezifisch ist. Naheliegende Einsatzgebiete sind die Identifizierung von Straftätern und der Verwandtschaftsnachweis, insbesondere die Vaterschaftsanalyse.

Die Technik fand entsprechend schnell Eingang in die Vaterschaftsanalyse (Jeffreys et al., 1985) und die Strafverfolgung (Gill et al., 1987). Während die Anwendung in der Strafverfolgung noch relativ einfach ist, da im wesentlichen die genaue Identität einer Spur mit einem Täter untersucht wird, birgt die Anwendung in der Vaterschaftsanalyse auch Nachteile gegenüber der klassischen Blutgruppenanalyse. Es ist vielfach nicht bekannt, welche Loci sich hinter einer Bande verbergen, damit ist auch nicht bekannt, inwiefern Banden miteinander gekoppelt vererbt werden. Auch die Mutationsraten in den verschiedenen Loci sind nur schwer zu bestimmen, wenn man sie nicht kennt. Außerdem ist es im Southern Blot nicht ganz einfach, einer Bande eine exakte Größe zuzuordnen, insbesondere, wo es nur um Größenunterschiede von wenigen Basenpaaren geht. Um diese Probleme zu lösen, wurden umfangreiche Rechenprogramme zur Größenbestimmung von Banden im Southern Blot unter berücksichtigung geschätzter Mutationsraten entwickelt, mit deren Hilfe aus MLS-Blots Vaterschaftsanalysen mit der gewünschten Sicherheit erstellt werden.

Single-Locus-Sonden

Alternativ zu MLS-Sonden wurden sogenannte Single-Locus-Sonden (SLS) entwickelt. SLS erkennen im Southern Blot einen spezifischen Locus, und die Gesamtheit der Banden, die mit verschiedenen SLS gefunden werden, ist ebenfalls individual-spezifisch und wird auch als genetischer Fingerabdruck bezeichnet. Diese Technik ist gegenüber der MLS-Methode aufwendiger, da mehrere Hybridisierungen erfolgen müssen. Da die Ergebnisse eindeutiger sind, hat sich diese Mehtode zunächst durchgesetzt.

Polymerase-Kettenreaktion (PCR)

Ein Nachteil der Southern-Blot-Methoden zum genetischen Fingerprinting war der Bedarf realtiv großer Mengen hochmolekularer DNA. Während das bei Vaterschaftsanalysen kein Problem darstellt, da man eben soviel Blut abnehmen kann, wie man braucht. stoßen die Strafverfolger schnell an ihre Grenzen. Denn nicht immer kann man aus einer Spur DNA in rauhen Mengen und perfekter Qualität gewinnen. Mit der PCR besteht die Möglichkeit, auch aus allerkleinsten Mengen wie einem Haar oder Speichelspuren an einer Zigarettenkippe die interessanten STR zu nachweisbaren Mengen zu amplifizieren. Durch Amplifikation mehrerer hochvariabler STR erhält man wiederum ein Muster, das individualspezifisch ist. Auch dies wird als genetischer Fingerabdruck bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit, daß zwei Menschen den gleiche 5-Loci-Fingerabdruck haben, liegt bei etwa 1:10-10.

Neben dem Vorteil, daß kleinste Probenmengen genügen, erweist sich die PCR Technik in der Praxis als sehr zuverlässig und unkompliziert zu handhaben. Die amplifizierten Bereiche haben Größen zwischen 100 und 400 Basenpaaren, und ihre Größe läßt sich meist auf das Basenpaar genau bestimmen. In der Strafverfolgung hat die PCR andere Techniken längst abgelöst. Besonders anwenderfreundlich sind Multiplex-PCR-Systeme, die die gleichzeitige Amplifikation von bis zu 11 Merkmalen erlauben. Durch Multi-Color-Fluoreszenz-Detektion können die Amplifikate parallel detektiert und ausgewertet werden, so daß ein genetische Fingerabdruck von der DNA-Präparation bis zum fertigen Ausdruck in weniger als acht Stunden erstellt werden kann. Allerdings ist diese Methode gerätetechnisch gesehen die zwar zuverlässigste, aber auch teuerste.

Mitochondrien-DNA

Eines der jüngeren Mitglieder in der Familie des Fingerprintings istd as Fingerprinting mitochondrialer DNA (Avise et al., 1989). Hier werden beispielsweise je nach Fragestellung individualspezifische oder artspezifische Polymnorphismen des Cytochrom B Genes oder einer nicht-kodierenden hypervariablen Region in der D-Schleife untersucht. Da Mitochondrien-DNA stabiler zu sein scheint als genomische DNA, kann auf diese Weise oft auch dann noch eine genetischer Fingerabdruck erstellt weden, wenn keine ausreichende genomische DNA mehr zu präparieren ist. Das ist z. B. bei sehr alten Leichen der Fall, die so identifiziert werden können. Erfolgreiches Fingerprinting wurde schon an mehr als 50000 Jahre alten Leichen praktiziert.

Mitochondrien werden bekanntlich über die Mutter vererbt, also auch die Mitochondrien-DNA. Damit lassen sich durch mitochondriales Fingerprinting auch noch Verwandtschaftsbeziehungen untersuchen, die über viele Generationen hin reichen, vorausgesetzt, man kann eine maternale Linie verfolgen. Für Vaterschaftsnachweise ist das mitochondriale Fingerprinting naturgemäß ungeeignet. Untrer anderem mit dieser Methode wurden die Mitglieder der ermordeten Zarenfamilie identifiziert (Gill et al., 1994), während die Zugehörigkeit der angeblichen Zarentochter Anastasia zur Familie klar ausgeschlossen werden konnte.

Das mitochondriale Fingerprinting ist aber auch ein wichtiges Werkzeug für alle, die Zellkulturen verschiedener Spezies halten oder Metastasierungsexperimente in fremden Spezies durchführen.

Zellkultur

Die Techniken des genetischen Fingerprintings sind zwar im wesentlichen von Gerichtmedizinern und Abstammungsgutachtern entwickelt und verfeinert worden, sie wurden aber quasi sofort von einer ganz anderen Gruppe von Wissenschaftlern angenommen: eben jenen, die mit Zellkulturen arbeiten.

Jeder, der mit Zellkulturen arbeitet, kennt die Geschichten, wo ambitionierte Forschungsarbeiten daran scheitern, daß das verwendete Zellkulturmaterial nicht das ist, was es zu sein scheint. So entpuppen sich “menschliche metastasierte Tumorzellen” nach Explantation asu der Maus, wenn überhaupt, oft erst nach langer Zeit und viel Arbeit als gewöhnlicher Mäusetumor, und der liebevoll gepäppelte “Einzelklon” eines ungewöhnlichen Tumors als triviale Zellkulturkontamination.

Selbst große Sammlungen tierischer und menschlicher Zellinien wie ATCC und ECACC sind vor solchen Malaisen nicht gefeit. Die Kreuzkontamination zahlreicher Zellinien mit HeLa bei ATCC ist Legende. Die Konsequenz dieser Unternehmen ist klar: regelmäßiges Fingerprinting gehört inzwischen zum täglichen Geschäft. Und jeder, der selbst einmal Opfer einer Verwechslung oder Kontamination war, hält es ebenso.

Denn während man Kontaminationen mit Pilzen oder den meisten Bakterien nach wenigen Tagen nicht mehr übersehen kann, bleiben Kontaminationen mit anderen Zellinien, Spezies und intrazellulär parasitierenden Bakterien wie Mykoplasmen dem Auge meist verborgen.

Mittlerweile gibt es auch in den führenden Forschungsgemeinschaften Überlegungen in die Richtung, die regelmäßige Kontrolle der Identität von Zellinien und -kulturen verpflichtend zu machen, da die Zuverlässigleit und damit die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse mit der Zuverlässigkeit des eingesetzten Materials steht und fällt.

Fazit

Mit den verschiedenen Techniken des genetischen Fingerprintings ergeben sich neue Einsatzmöglichkeiten.

Ein Milliliter Zellkulturüberstand reicht aus, um die Identität der Zellen zu prüfen und Kreuzkontaminationen mit Zellen gleicher Spezies durch genomisches Fingerprinting nachzuweisen. Mit Hilfe mitochondrialen, PCR-basierenden Fingerprintings erkennt man Kontaminationen mit fremden Spezies bzw. kann die Spezies der Zellen überhaupt erst einmal aufklären. Und natürlich lassen sich auch versteckte bakterielle Infektionen mit Hilfe von Fingerprint-Methoden und der PCR aus dem Kulturüberstand schnell nachweisen, ohne daß man wertvolles Zellmaterial opfern muß oder Zeit für die eigenen Experimente verliert.

Literatur

Jeffreys et al., Nature 1985 Jul 4-10; 316 (6023): 76-79
Jeffreys et al., Nature 1985 Oct 31-Nov 6; 317 (6040): 818-819
Gill et al., Forensic Sci Int 1987 Oct-Nov; 35 (2-3):145-148
Avise et al., Mol Biol Evol 1989 May:6 (3): 258-269
Gill et al., Nat Gent 1994 Feb; 6 (2): 130-135